Otto Scheuch

100 Jahre Otto Scheuch – unser Vater

VON KLAUS SCHEUCH

Rede zur Vernissage der Ausstellung »Otto Scheuch — Klänge der Malerei« anlässslich des 100 Geburtstages des Künstlers, KunstWandelhalle Bad Elster, 10.12.2016

100 Jahre eines Künstlers stellt nicht nur die Frage, was bringt uns seine Kunst, sondern auch, was lehrt uns dieses Leben. Es gibt wenige Künstler, deren Kunst man nur verstehen und erleben kann, wenn man etwas über den Menschen weiß. Und was für ein Leben hatte unser Vater!
Im Krieg geboren, mit neun Jahren krank, anderthalb Jahre keine Schule (aber Klavier- und Kunstunterricht). Trotzdem schaffte er mit 15 Jahren die Aufnahme in die Kunstschule Plauen, von 27 Bewerbungen wurden 11 ausgewählt. In Vorbereitung des nächsten Krieges wurde bei Maschinengewehrübungen die Niere zerstört. 1945 bei Bombenangriffen auf Plauen haben wir nahezu alles an materiellen Werten einschließlich aller Bilder verloren. Trotzdem oder auch deshalb hat er nach dem Krieg mit Enthusiasmus eine neue Zeit begonnen, obwohl gerade in dieser Zeit ein handfesterer Beruf das Überleben erleichtert hätte. Mit 37 Jahren absolvierte er die pädagogische Abschlussprüfung als Lehrer, setzte sich mit ganzer Kraft für die Kunsterziehung und -bildung der Schüler ein bis zum psychischen Zusammenbruch 1965. Trotzdem oder auch deshalb hat er dies bewältigt, ist nicht nur wieder aufgestanden, sondern hat sich und seine Kunst neu und anders erschaffen. Im November 1997 teilte er uns mit, dass er bei seiner fortgeschrittenen Nierenerkrankung Dialyse ablehnen wird. Man hätte ihm eine Lebenserwartung von 20 Jahren vorausgesagt, trotzdem sei er 80 alt geworden. Für ihn gab es kein Trotzdem mehr, unser Vater starb am 6. Dezember 1997.

Nicht nur seine Kunst, sondern auch dieses Leben ist ein Vermächtnis, das erinnern lässt und hilft, unser Jetzt besser zu bewerten. Nehmen wir dieses „Trotzdem“ auch in unsere Zeit. Der Verlust der Vergangenheit – in der Medizin als retrograde Amnesie bezeichnet – führt zum Jammern über unser Heute, zum Hinterherlaufen von Klugscheißern, zur Infragestellung der Zukunft. Gestern wurde zum Wort des Jahres „postfaktisch“ ernannt. Auch wenn es uns heute um Kunst vordergründig geht, heißt dies nicht, dass wir uns nur Emotionen, Illusionen, Wünschen zuwenden. Der Verlust von Fakten für unsere Gedanken, Vorstellungen, Ziele und Handlungen stellt eine Gefahr für unsere Zukunft dar. Wir verlernen das erfolgreiche „Trotzdem“. Das ist für uns eine Schlussfolgerung aus dem Leben unseres Vaters.

Brückenbauer zwischen Kunst und Volk

Diese abgedroschen klingende Überschrift war eine Lebensaufgabe unseres Vaters, die er mit Begeisterung erfüllte. Im Herbst 1945, kurz nach diesem schrecklichen Krieg, erfolgte in Adorf die erste Diskussion „Kunstrichtungen und Bildbetrachtung“, noch 1945 gründete er den Kulturbund in Adorf, 1962 den Zirkel bildender Kunst in Adorf, den es heute noch gibt und der auch die Erinnerung an unseren Vater pflegt.

Diese Überzeugung von der Notwendigkeit der Kunst für den Menschen und die Gesellschaft führte ihn konsequenterweise zum Lehrerberuf als Kunsterzieher, der nicht nur das Kunstverständnis einer ganzen Generation in Adorf bestimmte, sondern den Lebensweg Einzelner prägte. Wie häufig saßen Dorothea Reinelt, Heinz Plank, Gregor Kalin u.a. bei uns im Wohnzimmer und diskutierten mit ihm stundenlang über Kunst (und das Leben)! Wo gibt es das heute noch bei Lehrern? Heinz Plank, der Meisterschüler von Tübke und Mattheuer, formulierte, ohne Otto Scheuch wäre er nie Maler geworden.

Als dieser Brückenbauer arbeitete er von1966-1968 an einem Buch für die Bevölkerung zur Einführung in die Kunst unter dem Titel „Betrachten, Empfinden, Begreifen“, mit den damaligen technischen Möglichkeiten ein riesiger Aufwand. Es wurde eine Vielzahl von Künstlern der DDR angeschrieben und mit Bildern in dieses Buch einbezogen. 1968 wurde der Druck im Tribüne-Verlag abgelehnt unter anderem mit folgender Begründung: „In einer sehr subjektiven unwissenschaftlichen und unmarxistischen Art werden Theorien aufgestellt … In keiner Weise wird auf die von uns geforderte kulturpolitische Linie und Wirkung der bildenden Kunst eingegangen. Es kommt zu „reinen Kunstbetrachtungen“, ohne historische Zusammenhänge aufzuklären“ (Ministerium für Kultur der DDR, 01.07.1968). Diese Ablehnung hat ihn schwer getroffen, auch inzwischen in einer für ihn psychisch schwierigen Zeit.  Es sollten zwei Mitarbeiter des Kunstgeschichtlichen Institutes der Humboldt-Universität und des Institutes für Gesellschaftswissenschaft beim ZK der SED als Mitautoren für die richtige Parteilinie sorgen. Das hat er strikt abgelehnt.

Der Wandel des Malers Scheuch

1965 begann ein totaler gesundheitlicher Zusammenbruch. Lehrer sein war nicht mehr möglich. Das Malen hat er schon Jahre zugunsten der Lehrtätigkeit aufgegeben. Dr. Scherer behandelte ihn in Heiligendamm ab 1968. 1970 hat er wieder begonnen zu malen. „Scherer schenkte mir das Malen wieder.“ Auf der Grundlage seiner hervorragenden technischen und malerischen Fähigkeiten hat er Inhalt, Technik und Ausdrucksformen des Malens für sich neu erfunden, auch als Bestandteil der Therapie. „Unauffälliges, das Besondere im Alltäglichen und die Poesie im Einfachen versuche ich mit meinem Mitteln auszudrücken. In allem Lebendigen, ob Mensch, Tier, Baum oder Blume finde ich meine Themen.“ Die Musik erlangte für den Klavierspieler Scheuch, der als Jugendlicher zwischen den Berufen Maler und Musiker schwankte, eine vollkommen neue Bedeutung. „Musik hören plus malen wurde eine Entdeckungsreise zum Unbewussten.“ „Musiker und Maler versuchen die jeweiligen Sinne der Menschen froh, besinnlich, heiter, betroffen, optimistisch oder nachdenklich zu stimmen, sie zu begeistern, zu erregen oder zu entspannen. In dieser, ihrer spezifischen Weise führen sie zum schöpferischen Denken, zur Parteinahme und ästhetischem „Sich-freuen“. Eine nicht zu unterschätzende Produktivkraft!“
„Klassische Musik stimuliert meine Arbeit. In experimentellen Bildern gebe ich unmittelbar meine Eindrücke wider. Das sind keine Interpretationen musikalischer Inhalte, sondern subjektiv empfundene Musik – umgesetzt in gestaltete Farbe. Doch nicht nur auf diese Weise wird Musik zur Stimulation. Ganz allgemein bedeutet mir Musikleben eine weitere Quelle geistigen Lebens, aus der meine Malerei gespeist wird. Schließlich möchte ich mehr ausdrücken, als nur optisch verstandene Schilderung des Vorhandenen.“  

Wiederkehr in die Öffentlichkeit – Kunst den Menschen nahe bringen

1980 fanden hier in Bad Elster, Bad Brambach und Oelsnitz Ausstellungen von Otto Scheuch statt, die er als „Comeback-Ausstellungen“ bezeichnete. Sein behandelnder Arzt und Freund, Dr. Scherer, war dagegen. Er sah berechtigt in dieser Stabilisierungsphase die Gefahr des Misslingens und der Überforderung. Unser Vater schrieb: „Klaus und ich waren trotzdem für die Ausstellung, zumal ein Kreis von Freunden, ehemaligen Schülern u. a. sich anboten, organisatorische Arbeiten zu übernehmen“.   
Und in dieser Wandelhalle begann sein Wiedereintritt als Maler in die Öffentlichkeit. Oftmals war er inkognito in den Ausstellungen und schrieb seine Erlebnisse und Erfahrungen nieder. „Die positivste Bestätigung erfolgte von beziehungsvollen und erkenntnisreichen Kurpatienten in Bad Elster und Bad Brambach.“ Ein besonders Erlebnis war, als ihm eine Frau, die nicht wusste, dass er der Maler ist, ihm über eine Stunde seine Bilder erklärte. Ein Dr. med. K. aus Halle schrieb 1980 in das Gästebuch „Ich empfinde Sie als einen der wenigen „Rufer“, die den sozialistischen Normierungscode in lebendige Menschlichkeit dechiffrieren. Ihre Arbeiten sind dringlich und ganz natürlich gerade JETZT!“

Unser Vater setzte sich intensiv schriftlich mit Erlebnissen seines Lebens, Kunstbetrachtungen, seinen eigenen Bildern, Ereignissen auseinander, alles handgeschrieben, vollständige Sätze, sehr gut leserlich – eine Fundgrube der Geschichte und der Persönlichkeit. Da er öffentliche Auftritte nach wie vor scheute, hatte ich bei den meisten Ausstellungen die Einführung zu übernehmen. Im Nachhinein bekam ich von ihm seitenlange Briefe, so auch in Auswertung der Eröffnung der Elsteraner Ausstellung 1980. „Dabei denke ich besonders an Deinen Satz, der für mich wie die Lösung des gordischen Knotens wirkte. Auf der einen Seite distanzierte ich mich jetzt von heimattümelnden Naturdarstellungen, auf der anderen entnahm ich die meisten Anregungen daraus; ich meine den Satz: … Wenn das bestimmende Sujet der Bilder die Poesie des Lebenden, von Natur und Mensch ist, dann ist das keine Aufforderung zurück zur Natur im Rousseauischen Sinne, sondern mehr ein zurück zum Gefühl als dem typisch Menschlichen. Genau das würde ich als mein Anliegen bezeichnen …“.  
Ein weiterer Höhepunkt in seinem Leben war 1983 die Ausstellung im Leibnitz-Klub Leipzig in  Verantwortung von Hannelore Röhl zur Zusammenführung der Künste. Neben der bildenden Kunst unseres Vaters vertrat die Musik Prof. Dr. Karl Ottomar Treibmann, der ein Stück für Cello zur Vernissage komponierte, und die schreibende Kunst Werner Heiduczek. Nach 25 Jahren, in Vorbereitung der jetzigen Ausstellung, habe ich Hannelore Röhl in Leipzig angerufen. Sie konnte sich sofort erinnern. Es war von den 193 Ausstellungen, die sie organsiert hat, nach ihrer Meinung eine der besten. Karl Ottomar Treibmann, im Januar 2017 80 Jahre, Werner Heiduczek, vergangene Woche 90 Jahre, erinnern sich ebenso gerne an dieses Ereignis.
Die Ausstellung sollte erst gar nicht stattfinden, unter anderem weil unser Vater 1960 aus dem Verband Bildender Künstler der DDR ausgetreten ist. Es wurde ihm empfohlen, einen Antrag zur Wiederaufnahme zu stellen, was er auch machte. Es war eine Ausstellung in Paris im Kulturzentrum der DDR angedacht, dies war auch nur für Mitglieder des Verbandes möglich. Sein Antrag wurde abgelehnt mit der Begründung, dass bereits zu viele Mitglieder im Verband seien und er zu alt wäre. Dies hat ihn enorm getroffen. Er hat das als Nichtakzeptanz seiner Kunst interpretiert. Ich hatte die Gespräche mit vorzubereiten und die von ihm empfundene schwere Demütigung gar nicht so wahrgenommen.  Einen Brief von mir mit dem Versuch eines beruhigenden Inhaltes hat er scheinbar zerrissen und dann wieder zusammengeklebt, was ich erst jetzt gefunden habe. Viele versuchten ihm zu helfen, unter anderem Manfred Feiler, inzwischen sein intensiver Freund, ebenfalls Absolvent der Kunstschule in Plauen. Auch Hannelore Röhl tröstete ihn: „Es ist gut so, dass Du so ein aufgeklärter Weltbürger geblieben bist, geworden bist, einer mit dem man sich an keinem Orte dieser Welt zu schämen brauchte, kein blödes Wort zu befürchten hätte. Ach, lieber Osch, das hast Du gut gemacht! Alle Herrlichkeit ist eben innerlich, da ist nichts zu verderben und nichts zu entwickeln, was eh nicht da ist.“

Die Pariser Personalausstellung kam dann trotzdem nach der Wende auch dank des persönlichen Einsatzes der Familie Samson von Januar bis Februar 1992 mit einer sehr guten Resonanz zustande – ein Vogtländer in Paris neben dem Picasso-Museum.
Vier Jahre später folgte ein weiterer erlebter Höhepunkt seines gesamten Lebens. Die Ausstellung zum 80. Geburtstag in Oelsnitz, wofür sich Renate Wöllner enorm engagierte und eine beeindruckende Ausstellung zustande brachte.
2009 war eine Ausstellung in der Synagoge der jüdischen Gemeinde in Dresden, ebenfalls ein voller Erfolg über anderthalb Monate. Der jüdischen Gemeinde sei nochmals ganz herzlich gedankt. Es war in seinem Interesse als Brückenbauer, Humanist, als einer, der die Vergangenheit nicht vergessen hat, seine Bilder in diesem Rahmen zur Diskussion zu stellen und vielleicht damit ein Zeichen zu setzen.

Von der Vergangenheit zum Heute

Nachdem 1988 eine geplante Ausstellung in Bad Elster wegen Kreisbürokratie von ihm abgesagt wurde, ist diese Ausstellung zum 100. Geburtstag unseres Vaters ohne Bürokratie dank der Chursächsischen Veranstaltungsgesellschaft GmbH vorbereitet worden. „Klänge der Malerei“ als Titel dieser Ausstellung widerspiegelt die Einzigartigkeit von Inhalt und Methodik eines Teils der Bilder von Otto Scheuch als auch die Verbeugung vor dem lebenslangen Brückenbauer zwischen den Künsten und zu den Menschen.

Das Schwierigste war die Auswahl der Bilder. Deshalb einen herzlichen Dank an die Aktiven Tobias Teumer, Renate Wöllner, Dorothea Reinelt, Kalin Gregor und natürlich meinem Schwesterherz, die die vogtländischen Wohnzimmer abgefahren hat. Ein besonderer Dank gilt auch dem Enkel Dipl. Grafik-Designer Thomas Lenk, Absolvent der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig, der wie immer für die Flyer und Plakate zuständig war. Allen Bildgebern – und wir hatten insgesamt 150 Bilder zur Auswahl – sei Dank, es hat keiner gemeckert, obwohl er 3 Monate Flecken an der Wand hat. Herrn Tobias Teumer für das Hängen der Bilder auch ein besonderer Dank, diese Ausstellung zeugt davon, dass er ein Kunstgeschenk für die Chursächsische Veranstaltungsgesellschaft ist, der mit Sachverstand und Begeisterung sich der Kunst widmet.

Die Bilder wurden themen- und etappenbezogen gehangen unter Berücksichtigung unterschiedlicher Maltechniken. Genießen Sie die Vielfalt! Am Ende der Ausstellung werden Sie mit Porträtbildern aus den letzten Tagen von Otto Scheuch konfrontiert, gemalt von seinem engen Freund Manfred Feiler. Sie zeigen, das Leben ist endlich, der Tod gehört zur Vergangenheit und Gegenwart. Doch Otto Scheuch ist nicht zur Ende. Er und sein Erbe setzen sich auf der Galerie dieser Wandelhalle fort in den Bildern seiner Schüler Heinz Plank, Dorothea Reinelt, Kalin Gregor, Anke Rudloff und in unserem Entdecken.

Erleben und leben Sie diese Ausstellung. „Die Arbeiten tragen dazu bei, nicht nur Sehen zu lernen, sondern auch Fühlen zu lernen, nicht nur dem Verstand und seinen Sinnen zu vertrauen, sondern auch seinen Gefühlen zu trauen. Grade bei Betrachtung künstlerischer Aussagen genügt es nicht, diese nur verstandesmäßig zu erfassen, sondern suchend zu schauen und das oftmals nicht in Worte fassbare Gefühl sprechen zu lassen.“ (K. Scheuch bei Ausstellungseröffnung 1996). Otto Scheuch formulierte: „Ob dann ein Für oder Wider aufkommt, betrachte ich als sekundär. Entscheidend und nützlich steht an erster Stelle die aktive Kunstbetrachtung.“ Er nannte die Kunstbetrachtung ein „Ästhetisches Training“ an den Übungsgeräten, die hier hängen, als „Schutz vor Gefühlsduselei, Gefühlsrohheit und Abgestumpftsein sowie gegen Anfälligkeiten gegenüber Kitscherzeugnissen.“

Er zitierte gern Brecht: „Um zum Kunstgenuss zu kommen, müsse man arbeiten“.
Arbeiten Sie! Die Ausstellung ist eröffnet.
 

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