Otto Scheuch

Zu meinen durch Musik stimulierten Sujets

OTTO SCHEUCH

Gegenüber meinen vorangegangenen Arbeitsmethoden – Gestaltung unmittelbar vor der Natur, Studien, Entwürfe, Bildkomposition – arbeite ich seit mehreren Jahren ausschließlich nach der Vorstellung. Daher liegt für mich Musik als Anregung greifbar nahe. Muskihören plus Malen wurde eine Entdeckungsreise zum Unbewußten. Das bessere Resultat bewies, welche Bedeutung das Unterbewusstsein im künstlerischen Schaffensprozeß hat. Musikhören lässt Unbewußtes schneller aufkommen.
Es rückt mir real Erlebtes in mein Bewusstsein, das ich aus der Erinnerung heraus gestalte. Außerdem lasse ich mich mitunter vom Musikerleben direkt leiten,  indem ich versuche, dieses subjektiv in Farbe und Form zu bringen.
Musik und Malerei schöpfen aus der Natur und dem Menschen. Ebenso decken sich künstlerische Absichten der Musiker und Maler: Uns mit ihren Aussagen emotional und geistig zu aktivieren. Musik weckt das akustisch, die Malerei erreicht es optisch. Geht es um ein humanistisches Anliegen und ist die Komposition nacherlebbar (im Gegensatz zu dem falschen und irritierenden „ablesbar“), betrachte ich die Aussage als eine der vielfältigen Formen realistischer Schaffensmethoden- „insofern man Kunst nicht mit Publizistik gleichsetzt“. (1)
Aufgeschlossenes Musikhören löse bei jedem Menschengewisse Vorstellungen aus (2). Wenn das auch kein Maßstab für Musikwissenschaftler sein kann, kennzeichnet es immerhin die Reaktion einer beziehungsvollen und ansprechbaren Mehrheit. Darin erblicke ich meinen Anknüpfungspunkt.
So wurde seit langem die Musik mein inspirierender Partner. – Musiker und Maler versuchen, die jeweiligen Sinne der Menschen froh, besinnlich, heiter, betroffen, optimistisch oder nachdenklich zu stimmen, sie zu begeistern, zu erregen oder zu entspannen. In dieser, ihr spezifischen Weise führen sie zum schöpferischen Denken, zur Parteinahme und ästhetischen „Sich –freuen“. Eine nicht zu unterschätzende Produktivkraft!
„Künstlerische Emotionen – eine besondere Arbeit des Intellekts auf seiner höchsten Ebene: Schöpferisches Denken! – ist gleich Schlüsselstellung der künstlerischen Aussage …….. die emotionale Sphäre der Psyche beinhaltet keine Abbilder, sondern widerspiegeln deren biologische Bedeutung“ (3)
Heinrich Heine polemisiert diesbezüglich: „… in der Musik gibt es freilich Gesetze, … aber diese Gesetze sind nicht die Musik, sonderen Bedingnisse, wie die Kunst des Zeichnens und der Farblehre nicht … Malerei sind, sondern nur notwendige Mittel. Das Wesen …… ist Offenbarung.
Wenn ein Künstler uns etwas offenbaren möchte, steht die Ausstrahlungskraft seiner Arbeit an erster Stelle, denn alle anderen Bestandteile seines Werkes werden ja nur wirksam, wenn ersteres vorliegt. Unter Ausstrahlung verstehe ich keineswegs plakatives Festhalten, im Gegenteil, mitunter sind leise Töne überzeugender und stimmen nachdenklicher.
Wenn ein Betrachter die Kunst erleben möchte, benötigt er als erstes Erlebnisfähigkeit und Kombinationsfreude (Das Gegenteil: Schnelles – registrieren – wollen). Spezifisches Wissen kann die Betrachtung vertiefen. Aber Wissen allein führt nicht unbedingt zum Kunsterleben, weil man ein Erleben nicht durch eine bekannte Formel auszulösen vermag. 
Das beweisen die Fehlurteile über Aussagen, von denen heute jeder weiß, dass sie unser kulturelles Erbe bereicherten und Impulse zur Weiterentwicklung gaben.
In seinem Buch „Psychologie der Kunst“ charakterisiert Lew S. Wygotski den wichtigen Teil des Künstlerischen sehr treffend für Musik und Malerei:
„Worauf es ankommt, das ist in der Musik ein Unhörbares, in der bildenden Kunst ein nicht-Sichtbares und nicht-Testbares“
Ergänzend dazu meine ich, eben das haben Musiker und Maler in ihrem Werk spürbar zu machen.
Seit langem wird die wissenschaftlich erwiesene psychologische Farbwirkung in allen Bereichen des Alltags angewandt. Der Maler sollte am sichersten damit umgehen können. Nach meiner Auffassung besitzen die Farben in einer malerischen Aussage das Primat. Karl Marx bezeichnet den Farbsinn als die populärste Form des ästhetischen Sinnes überhaupt.
Wenn es also eine psychologische Farbenausstrahlung gibt, worauf wir besonders emotional ansprechen, die unsere Fantasie schneller beflügelt, kann demnach ein Maler mittels Farbklängen, ihren Modulationen, ebenso – wie das Schostakowitsch von musikalischen Klängen sagt – „noch nicht bewusst erlebte Gedanken und Gefühle zum Leben erwecken, die von Kleinlichen und Zufälligen reinigen.“
Ein Adagio von Beethoven vermag mich z. B. in eine entspannende vielleicht etwas träumerische Stimmung zu versetzen. Mit Farbmodulationen pendle ich mich darauf ein. Mehrere Visionen erlebter Realitäten tauchen beim Hören und Malen vor dem geistigen Auge auf. Bis zu dieser Phase – ich bezeichne sie wegen ihres größeren emotionalen Engagements als gehaltvollere Präparation – liegt nicht eindeutig fest, ob ich daraus real Erlebtes oder Erdachtes gestalte, oder das musikalische Erlebnis in Farbe und Form umsetze. Auch Kombinationen sind möglich, d. h. Musikthemen, in denen reale Elemente dominieren und realistische Darstellungen, in denen die gehörte Musik mitklingt. Erfahrungen und Kenntnisse steuern bis dahin sozusagen automatisch den Arbeitsprozeß. Dann nimmt bewusstes Denken zu.
Am wohlsten fühle ich mich bei den Arbeiten, die den Betrachtern genügend Spielraum einräumen, eigene Gedanken und Empfindungen auf den von mir angestimmten Akkord zu finden. Ich glaube, so identifiziert er sich rascher und durch sein aktives Schauen nachhaltender mit dem, was ich ausdrücklich versuche.
Meine persönliche Handschrift ist mehrschichtig. Ein Stilschema von vornherein festzulegen, würde mich einengen. Die Elemente entwickeln sich jeweils aus der Technik, dem Unbewußten, dem Inhalt und dem, was sich während der Arbeit anbietet; nicht zu vergessen, die wirkende Musik, die auf Grund ihrer unterschiedlichen Stilistik sowieso kein routinemäßiges Handwerkeln zulässt. So hoffe ich, ein bisschen mehr von dem hineinzubringen, was E. Strittmatter „das große Wundern aus der Kindheit“ nennt; denn auch für Erwachsene wäre das die richtige Haltung gegenüber der Kunst, weil daraus ganz natürlich das Bedürfnis wächst, mehr darüber zu erfahren.
In einer ersten Ausstellungsreihe mit den neuen Arbeiten (1980 in Oelsnitz, Bad Elster, Bad Brambach, im Forschungsinstitut für Hygiene und Mikrobiologie) war die Resonanz – besonders in den drei letztgenannten Ausstellungen – überraschend gut.
Selbstverständlich gingen bei einigen Bildern die Meinungen oft weit auseinander. Das aber werte ich positiv. Die größte Übereinstimmung erzielte die farbige Aussage in allen Techniken.
Meine programmatischen Überlegungen bei der neuen Arbeitsweise, dominierend die Farbe zum Träger der Aussage zu machen, wurde akzeptiert.
Bei den direkten Musikthemen gab es am häufigsten Ablehnungen. Die Ausstellungs- und Ateliergespräche zeigten aber, dass das nicht immer an der mangelhaften Aussage lag, sondern ebenso an der Unkenntnis und Voreingenommenheit mancher Betrachter. Das beweist bereits die Tatsache, dass die „Pastorale“ von allen gelobt wurde, auch von den Besuchern, die vorwiegend Musiktitel ablehnten. die Erklärung dafür besteht im folgenden:
Im Faltblatt der Ausstellung war die „Pastorale“ abgebildet. In der Titelangabe zitierte ich dort den 1. Satz der Sinfonie Nr. 6 von Beethoven wörtlich. Jeder, auch der Musikunkundige, wusste, dass es sich um aufkommende „heitere Empfindungen bei der Ankunft auf dem Lande“ handelt und fand die eigene Erfahrung im Bild. Dagegen wurden Musikthemen, die Maler und Musikfreunde qualitativ höher einstuften, von der Mehrzahl abgelehnt.
Bei den Gesprächen erwies sich, dass die meisten nicht einmal eine Vorstellung vom musikalischen Wortbegriff hatten.
Für alle Beteiligten ist es wohl gewinnbringend, wenn künftig bei diesen Inhalten vor der musikalischen Bezeichnung ein übereinstimmender Allgemeintitel steht.
Damit wird der Zugang einem größeren Kreis ermöglicht, gegebenenfalls auch die Anregung geweckt, die Musik kennenzulernen. Diese Schlussfolgerung aus den Ausstellungsgesprächen ist keineswegs eine Konzession gegenüber denjenigen, die in verkümmerter Erlebnisfähigkeit und mangelnder Bildung ratlos davor standen. Diesen würde das auch nicht  weiterhelfen.
Für Kunstfreunde und Künstler bleibt immer das Schönste, Neues zu finden, sowie Bekanntes neu zu entdecken. Aufgeschlossenheit gegenüber Kunst heißt außerdem, zu sich selbst zu kommen.
Barrieren, die das verhindern, sind genormte Meinungen, Routine und Oberflächlichkeit.
Wie sagt doch Thomas Mann: „Phantasie haben heißt nicht, sich etwas auszudenken, es heißt, sich aus den Dingen etwas zu machen.“
(1) Bernhard Heisig, BK /80
(2) Aus Horst Seeger „Wir und die Musik“
(3) Samuel Ch. Rapport, Moskau, BK /80
 
Adagio Cantabile
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